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Ambulantisierung der Behindertenhilfe in Hamburg - einige kritische Fragen

25.09.2006 von LAG Redaktion

Im Herbst letzten Jahres hat die Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen den Ausschuss Wohnen, Leben, Qualität eingesetzt. Dieses Gremium begleitet den aktuell in der Behindertenhilfe stattfindenden Prozess der Ambulantisierung, der zu grundlegenden Veränderungen in der Wohnsituation vieler behinderter Menschen führt. Die Arbeit des Ausschusses ist geleitet von dem Grundanliegen der LAG, dass für möglichst viele behinderte Menschen ein selbstbestimmtes, eigenverantwortlich gestaltbares Leben "in den eigenen vier Wänden" mit hinreichender, verlässlicher Unterstützung erreichbar werden soll. In den letzten Monaten hat der Ausschuss Wohnen, Leben, Qualität eine Vielzahl von Gesprächen mit den für die Umgestaltungen der Hilfen verantwortlichen Akteuren sowie mit von den Veränderungen betroffenen Menschen geführt, um zu erfahren, welche konkreten Projekte und Vorhaben auf den Weg gebracht werden, wie deren Auswirkungen einzuschätzen sind und an welchen Punkten erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich sein wird. Der Umgestaltungsprozess steht noch am Anfang. Deshalb kann eine umfassende Bewertung der Entwicklungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erfolgen. Die Informationen, die dem Ausschuss bisher vorliegen, geben jedoch Anlass, auf einige kritische Punkte hinzuweisen, die nach unserer Ansicht einer verstärkten Beobachtung bedürfen. Insbesondere die Einführung der neuen Leistungsform "ambulante Unterstützung in Wohngemeinschaften" wirft eine Reihe grundlegender Fragen auf: Wie kann erreicht werden, dass sich in den "Umwandlungsprojekten" die Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Privatheit der einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner tatsächlich erweitert, dass es sich also bei der Umwandlung nicht lediglich um einen "Türschildwechsel" handelt? Wie können Nutzerinnen und Nutzer bestimmen, mit wem sie zusammen wohnen? Inwieweit haben Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, ihr Recht auf freie Wahl der Dienstleister umzusetzen? Kann der Verbraucherschutz von Nutzerinnen und Nutzern neuer ambulanter Leistungsangebote nach Wegfall der heimrechtlichen Vorschriften durch verbindliche Beteiligungs- und Beschwerdestrukturen gesichert werden? Welche externe Unterstützung hinsichtlich der Interessenvertretung wünschen sich Nutzerinnen und Nutzer und wie kann diese gewährleistet werden? Anhand welcher pragmatischen und leicht nachvollziehbaren Dokumentations-verpflichtungen wird für die behinderten Menschen und ggf. deren rechtliche Betreuerinnen und Betreuer Transparenz hinsichtlich der Quantität wie der Qualität der Leistungserbringung hergestellt? Wie realisiert sich der Anspruch der Nutzerinnen und Nutzer auf zuverlässige individuelle Assistenz? Inwieweit kann angesichts der geltenden Regelungen zur Mietkostenübernahme behinderten Menschen eine sichere Wohnsituation ermöglicht werden? Schränken die für einen Teil der Wohnangebote erforderlichen Untermietverträge möglicherweise den Mieterschutz und die Entscheidungsfreiheit von Bewohnerinnen und Bewohnern ein? Was wird im Hinblick auf die Stadtentwicklung unternommen, damit Menschen mit Behinderung gleichberechtigt am Leben in ihren Stadtteilen teilhaben können? Wie wird gewährleistet, dass Bewohnerinnen und Bewohner in den Umwandlungsprojekten in angemessener Form dabei unterstützt werden, die notwendigen Regelungen und Vereinbarungen zu treffen? Wird aufgrund des erhöhten Regelungsbedarfs in ambulant unterstützten Wohnformen die Einrichtung zusätzlicher rechtlicher Betreuungen erforderlich sein? Wie kann, im Zusammenwirken von Menschen mit Behinderung und rechtlichen Betreuerinnen und Betreuern in ambulant betreuten Wohngemeinschaften Menschen mit Behinderung, die keine rechtliche Vertretung haben, eine gleichberechtigte Beteiligung an Entscheidungsprozessen ermöglicht werden? In welchem Maße wird es gelingen, auch Menschen mit hohem Assistenzbedarf ambulant unterstützte Wohnformen anzubieten? Wie wird sich die Situation der Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf entwickeln, die in den stationären Einrichtungen verbleiben (müssen)? Wird im Rahmen der von der Sozialbehörde und den Einrichtungsträgern angestrebten Evaluation eine trägerunabhängige Nutzerbefragung gewährleistet sein? Wird die derzeit vorgesehene, von den einzelnen Trägern durchgeführte Nutzerbefragung Ergebnisse liefern, die trägerübergreifende bzw. vergleichende Aussagen hinsichtlich der Zufriedenheit von Nutzerinnen und Nutzern mit den neuen Wohn- und Leistungsangeboten ermöglichen? Der Vorstand der LAG hat den Ausschuss Wohnen, Leben, Qualität gebeten, seine Tätigkeit in den kommenden Monaten auf die Beobachtung der benannten Entwicklungen zu konzentrieren und Hinweise darauf zu geben, wie der Ambulantisierungsprozess im weiteren Verlauf zu bewerten ist und an welchen Stellen ggf. Interessen der betroffenen behinderten Menschen geltend gemacht werden müssen.

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