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Stellungnahme zur Gesundheitsreform 2007

01.04.2007 von LAG Redaktion

Das Forum Patientenvertretung in Hamburg ist der Zusammenschluss der Patientenorganisationen nach § 140 f SGB V bzw. Patientenbeteiligungsverordnung nach § 140 g SGB V auf Landesebene. Stellungnahme zur Gesundheitsreform 2007 Das Forum Patientenvertretung in Hamburg stimmt nicht in den lauten Chor der Ablehnung dieser Gesundheitsreform ein. Wir sehen auch Gutes – und üben zugleich Kritik. Doch zunächst zwei Vorbemerkungen. 1. Wettbewerb ist für uns kein Wert an sich. Er darf nicht ausschließlich um die Kosten (und damit um die Gesunden und Schönen, die sogenannten „guten Risiken") geführt werden, sondern muss die Qualität der Leistungen in den Mittelpunkt stellen. 2. Je kränker Patienten sind, desto weniger sind sie Kunden. Diese Reform stellt Anforderungen, die viele Patienten nicht wie „mündige" Kunden oder Verbraucher problemlos bewältigen können; oft sind sie überfordert, sehr häufig bedingt durch ihre Krankheit. Wir sehen etliche positive Regelungen dieser Reform: allen voran die Krankenversicherung für alle, aber zum Beispiel auch einige zusätzliche Leistungen der Krankenkassen oder eine stärkere Betonung der Qualität im Gesundheitswesen. Zugleich stehen wir vielen Regelungen kritisch gegenüber, und etliche Neuerungen müssen wir ganz ablehnen: allen voran die Regelungen zur Kostenerstattung, die Bestrafung des „selbstverschuldeten Behandlungsbedarfs" mit der Einführung des Verschuldensprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung, den Zwang zu „therapiegerechtem Verhalten" und den Zusatzbeitrag zum Gesundheitsfonds ab 2009. Schließlich fallen uns wichtige Punkte auf, die schon lange auf eine gesetzliche Regelung warten: etwa die Erschließung neuer Felder für die Patientenbeteiligung auf Landesebene. Im Anhang haben wir einzelne Regelungen detaillierter bewertet. Ergänzend verweisen wir auf die Stellungnahmen der Patientenbeauftragten der Bundesregierung (www.patientenbeauftragte.de), des Verbraucherzentrale Bundesverbands (www.vzbv.de), der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (www.bag-selbsthilfe.de), der Patientenstellen (www.patientenstellen.de) und der Sozialverbände (www.vdk.de und www.sovd.de), die wir in ihren Kernaussagen unterstützen. Anhang 1. Was wir begrüßen 1.1 Für Patienten direkt sichtbare Maßnahmen Vor allem: Die Krankenversicherung für alle (§§ 5, 257, 315 SGB V*) * Im folgenden beziehen sich alle §§ auf das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V), sofern nichts anderes angegeben ist. Wahltarife (§ 53 Abs. 3) zu besonderen Versorgungsformen (§§ 63, 73b, 73c, 137f, 140a) und besonderen Therapierichtungen (§§ 34, 73) Mehr Leistungen: Palliativversorgung (§§ 37b, 132d), häusliche Krankenpflege (§ 37), Schutzimpfungen (§ 20d), Geburten in Geburtshäusern (§ 134a), Kuren (§§ 41, 137d), Rehabilitation (§ 20 SGB IX) Stärkere Öffnung der Kliniken für ambulante Behandlungen (§ 116b) Mitnahme der Altersrückstellungen in der PKV PKV-Basistarif für alle 1.2 Für Patienten eher unsichtbare Änderungen Gemeinsamer Bundesausschuss: Fristsetzung für die Festlegung von Kassenleistungen (§ 91), Qualitätssicherung (§ 137), Transparenz der Qualität von Leistungserbringern (§ 137a) Pflicht zur Anschlussversorgung an den Schnittstellen zwischen stationärem und ambulantem Bereich (§ 11) Selbsthilfeförderung (§ 20): Mittelübertragung auf das Folgejahr, Poolfinanzierung (leider nur teilweise) 2. Was wir ambivalent oder kritisch sehen 2.1 Für Patienten direkt sichtbare Maßnahmen Absenkung des Mindestbeitrags für Kleinselbständige: Das ist für Selbständige, die wenig verdienen, einerseits eine Erleichterung, dabei aber immer noch nicht realistisch, denn viele verdienen noch weniger als der abgesenkte unterstellte „Mindestlohn". Und vor allem bedeutet die Regel die Einführung der Sippenhaft, denn erstmals werden nahe Angehörige finanziell mitbelastet! Integrierte Versorgung (§ 140b; § 92b SGB XI): Wir begrüßen die Verlängerung der Anschubfinanzierung und die Einbeziehung der Pflegedienste; leider wird die Versorgung von Kindern und psychisch Kranken zu wenig betont. 2.2 Für Patienten eher unsichtbare Änderungen Zwangsberatung der Ärzte durch einen „Arzt für besondere Arzneimitteltherapie" bei teuren oder riskanten Medikamenten (§ 73d): sie stärkt gewiss das Kostenbewusstsein, belastet aber möglicherweise das Arzt-Patient-Verhältnis. Zu begrüßen ist wiederum, dass diese besonderen Ärzte ihre Verbindungen zur Pharmaindustrie offen legen müssen. Ärztliche Honorarordnung in Euro statt Punkten (§§ 85a ff.): sie schafft für den Arzt mehr Sicherheit, bietet aber dabei die Gefahr der Vernachlässigung bestimmter Patientengruppen und Therapieformen, z.B. psychotherapeutischer Leistungen. Gesundheitsfonds (§§ 220, 271 ff.): Hier hängt alles davon ab, ob es gelingt, einen Ausgleich der unterschiedlichen Mitgliederstrukturen der Krankenkassen („morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich") zu schaffen, der die Werbung um Junge und Gesunde und die Vernachlässigung derer, die eine gute Versorgung am nötigsten brauchen, beendet. 3. Was wir ausdrücklich ablehnen 3.1 Für Patienten direkt sichtbare Maßnahmen „Selbstverschuldeter Behandlungsbedarf" (§ 52): Damit wird das Verschuldensprinzip in die GKV eingeführt. Und die Gefahr geschaffen, dass es ausgeweitet wird. Die präventive Wirkung bleibt fraglich, da zwischen „Tat" (Schuld) und Strafe meist ein langer Zeitraum liegt. „Therapiegerechtes Verhalten" (§ 62): Viel hängt davon ab, ob wissenschaftlich umstrittene Vorsorgemaßnahmen verpflichtend werden und was mit Menschen geschieht, die sich krankheitsbedingt nicht „therapiegerecht" verhalten. Das Arzt-Patient-Verhältnis wird durch die notwendigen Bescheinigungen belastet. Auch hier wird erstmals das Verschuldensprinzip eingeführt. Wahltarife (§ 53): In den meisten Tarifen gilt eine auf drei Jahre verdoppelte Bindung an die Kasse, keine Sonderkündigungsrecht mehr – und die Pflicht der Kassen zur Transparenz und Beratung wird abgeschafft! Kostenerstattung (§ 13): Die Wahl wird verlockender, die Beratungspflicht der Krankenkassen fällt weg, Patienten werden den Anbietern direkter ausgeliefert. Gesundheitsfonds: Kassenindividueller Zusatzbeitrag, keine Einkommensprüfung bis 8 € (§ 242): unausgewogene Belastung für Arme, Einstieg in die an sich unsoziale Kopfpauschale. Ein Kassenwechsel als Ausweg fällt den Kränksten am schwersten. Hilfsmittelversorgung (§§ 33, 36, 127): Ausschreibungen führen zu Preisdruck und Absenkung oder gar Wegfall des örtlichen des Services. 3.2 Für Patienten eher unsichtbare Änderungen Patientenbeteiligung im GBA (§ 91): Reduzierung der Vertreter, inhaltliche Ausdünnung, zu wenig Ressourcen. 4. Ruhender Änderungsbedarf Patientenbeteiligung auf Landesebene: Änderung oder Erweiterung der Arbeitsfelder (z.B. EQS, Krankenhausplanung (§ 116b). Selbsthilfeförderung (§ 20c): Beteiligung der Vertreter der Selbsthilfe an der Vergabe der Mittel (Hamburg hat da gute Erfahrungen). Kontaktadressen des Forums Patientenvertretung in Hamburg: Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e.V. Richardstr. 45 22081 Hamburg Verbraucherzentrale Hamburg e.V. Fachabteilung Patientenschutz Kirchenallee 22 20099 Hamburg Patienteninitiative Hamburg e.V. Moorfuhrtweg 9e 22301 Hamburg Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen im Paritätischen Wohlfahrtsverband Hamburg Wandsbeker Chaussee 8 22089 Hamburg

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