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Ambulant betreutes Wohnen für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen - Weiterentwicklung der Ambulantisierung

30.10.2010 von LAG Redaktion

Konsenspapier II

Im Jahr 2005 hatten die Hamburger Partner einen Konsens über die Verfahrensgrundsätze des Ambulantisierungsprozesses in Hamburg erzielt (Konsenspapier I vom 07.03.2005). In bilateralen Zielvereinbarungen wurde daraufhin vereinbart, in einem ersten Schritt insgesamt 770 stationäre Plätze in ambulant betreutes Wohnen umzuwandeln. Inzwischen konnten bereits mehr als 500 Menschen aus dem stationären Wohnen in ambulante Betreuung in der eigenen Wohnung wechseln. Durch Beratung, Fallmanagement, verbesserte Hilfeplanung und differenzierte Unterstützungsstrukturen wurde darüber hinaus einer beträchtlichen Zahl neu hinzukommender Leistungsberechtigter die Entscheidung für ein Leben in den eigenen vier Wänden erleichtert. Dieser Erfolg ist vor allem auch ein Ergebnis des gemeinsamen Willens aller Beteiligten. Das Konsenspapier hat dabei deutlich geholfen, und die darin beschriebenen Grundsätze gelten unverändert fort. Die bislang vorliegenden Ergebnisse zeigen: Die Lebenssituation derjenigen, die nun durch die Ambulantisierung in einer eigenen Wohnung leben, hat sich verbessert. Die gewonnenen Erfahrungen und die am 4. Dezember 2008 auf der Fachtagung „Ambulant betreutes Wohnen für Menschen mit geistigen Behinderungen" gezogene Zwischenbilanz bestärken uns in unserem Ziel, durch ambulante Betreuung im eigenen Wohnraum bessere Bedingungen für eine selbstständige und selbstbestimmte Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Dies geschieht insbesondere auch im Einklang mit Artikel 19 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die Vertragsstaaten verpflichten sich darin u.a. zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Der in Hamburg eingeschlagene Weg der Ambulantisierung soll daher unter Nutzung der gewonnenen Erkenntnisse verstärkt fortgesetzt werden, damit das in den Zielvereinbarungen formulierte Ziel in gemeinsamer Anstrengung erreicht werden kann. Für diesen Prozess verständigen sich der Sozialhilfeträger, die Spitzenverbände der Träger von Einrichtungen und die Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen auf folgende weiterführende Punkte: 1. Die mit dem Konsenspapier I im März 2005 zusammengefassten Grundsätze des Wunsch- und Wahlrechts, der Freiwilligkeit, Rückkehrmöglichkeit, Beteiligung, der unabhängigen Beratungsmöglichkeiten und Transparenz haben sich bewährt, und behalten auch in Zukunft ihre volle Gültigkeit. 2. Um die individuellen Bedarfe (d.h. welche und wie viel an Hilfe der einzelne Mensch braucht) vollständig zu ermitteln, soll ein einheitliches, von Leistungsformen unabhängiges System der Bedarfsermittlung in Hamburg entwickelt werden. 3. Der Auszug von Menschen in die eigene Wohnung kann auch die Lebensbedingungen der Menschen, die in den stationären Einrichtungen leben, beeinflussen. Es sind deshalb geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit auch für diese Menschen selbstbestimmtes Leben mit personenzentrierter Unterstützung gewährleistet bleibt. 4. Für die Akzeptanz und den Erfolg des ambulant betreuten Wohnens ist das Bedarfsdeckungsprinzip von ganz entscheidender Bedeutung. Das gilt auch für Menschen, die einen hohen Hilfebedarf (Bedarfsgruppen 4 und 5) haben. Dafür sind die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass auch sie verstärkt am Hamburger Ambulantisierungsprogramm teilnehmen können. Dies betrifft insbesondere eine verfügbare Nachtbereitschaft bzw. Nacht- und Notdienste sowie eine intensivere Vernetzung im Sozialraum und die kooperative Nutzung von regionalen Stütz- und Treffpunkten. Es soll auch geprüft werden, ob dies durch spezifische Leistungsmodule unterstützt werden kann. 5. Es soll beobachtet werden, ob die veränderten Regelungs- und Vereinbarungsbedarfe im Zusammenhang mit der Ambulantisierung eine Zunahme rechtlicher Betreuungen bewirken, und ob Eltern gegen ihren Willen eine dauerhafte Organisatorenrolle im Leben des behinderten Angehörigen übernehmen müssen. 6. Menschen mit Behinderungen brauchen Wohnungen. Dies gilt umso mehr, wenn sie ins ambulant betreute Wohnen wechseln wollen. Daher soll die Versorgungssituation mit Wohnungen in Hamburg, die für alle Formen des Wohnens von Menschen mit Behinderungen geeignet sind, weiter verbessert werden. 7. Die Unterzeichner sind sich darüber einig, dass mit der bundesweit angestrebten Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe (UN-Konvention, ASMK-Prozess, ICF) auch Veränderungen in den Nachbarbereichen, wie den Eingliederungshilfen im Themenfeld Bildung und Beschäftigung oder den Leistungen für Menschen mit seelischen Behinderungen erforderlich werden können, wobei spezifische, den Besonderheiten dieser Klientel angemessene Lösungen gefunden werden müssen. Die Ambulantisierung ist deshalb in eine übergreifende Weiterentwicklung des Hilfesystems für Menschen mit Behinderungen einzubinden und bedarf einer konsensualen, gesamtgesellschaftlichen Unterstützung. 8. An der Weiterentwicklung der Ambulantisierung und der Eingliederungshilfe werden behinderte Menschen und ihre Interessenvertretungen beteiligt.

Hamburg, den 30. Juni 2010

Klaus Becker, Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e.V.

Joachim Speicher, Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V.

Karin Kaiser, Bundesverband privater Anbieter sozialer Leistungen e.V., Hamburg

Dietrich Wersich, Senator für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz

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